Jahrzehntelang galten Wundverschlussmittel – von traditionellem Baumteer bis hin zu modernen High-Tech-Produkten – als unverzichtbar, um Bäume nach dem Schnitt zu schützen. Doch aktuelle Forschung zeigt: Bäume „heilen“ nicht wie Menschen. Statt beschädigtes Gewebe zu regenerieren, reagieren sie mit natürlicher Abschottung und Überwucherung der Wunde.
Doch was bedeutet das für die Praxis? Sind Wundverschlussmittel tatsächlich überflüssig, oder gibt es Situationen, in denen sie sinnvoll eingesetzt werden können? In diesem Artikel erfährst du, wie Bäume auf Verletzungen reagieren, wann Wundverschlussmittel wirklich helfen und welche alternativen Maßnahmen deine Bäume gesund und widerstandsfähig halten.
Mit fundierten Tipps zur richtigen Baumpflege bist du bestens gewappnet, um die langfristige Gesundheit und Stabilität deiner Bäume zu fördern – ganz ohne Mythen, sondern mit wissenschaftlich belegten Methoden.
Inhaltsverzeichnis
Biologische Grundlagen des Baumes und ihre Bedeutung für den Schnitt
2.1. Der Aufbau des Baumes: Kambium, Bast und Borke
2.2. Was passiert bei einer Verletzung?
2.3. Warum Wunden bei Bäumen nicht heilen, sondern abschotten
Wundverschlussmittel: Theorie und wissenschaftliche Realität
Die richtige Schnittführung als entscheidender Faktor
4.1. Fehler bei der Schnittführung und ihre Folgen
4.2. Schritt-für-Schritt-Anleitung für einen fachgerechten Schnitt
5.1. Die physiologischen Prozesse des Baumes im Jahresverlauf
5.2 Der beste Zeitpunkt für den Baumschnitt: Winter und Sommer im Vergleich
Wann Wundverschlussmittel tatsächlich sinnvoll sein können
6.1 Besonderheit Flächenkallus bei Wildverbiss, Anfahrschäden und Rückeschäden etc.
Fazit und praxisorientierte Handlungsempfehlungen
Seit Jahrhunderten haben Menschen Methoden entwickelt, um Schnittstellen an Bäumen zu schützen. Eine der ältesten und bekanntesten Methoden war die Verwendung von Baumteer. Dieser bestand aus öligen Substanzen, die einfach aufzutragen waren und die Schnittstelle versiegelten. Baumteer war vor allem deshalb beliebt, weil er leicht verfügbar und kostengünstig war. Zudem galt er lange Zeit als effektiv, um das Eindringen von Pilzen und Bakterien zu verhindern.
Mit der Zeit wurden Baumteer und ähnliche Substanzen durch moderne Wundverschlussmittel ersetzt. Diese enthalten oft zusätzliche Wirkstoffe wie natürliche Fungizide, die Infektionen durch Pilze gezielt bekämpfen sollten, oder synthetische Polymere, die als elastische Versiegelungsschicht dienen. Das Hauptziel dieser Mittel blieb jedoch stets gleich: die Schnittstelle vor Infektionen zu schützen, die Austrocknung zu verhindern und die Überwallung zu fördern.
Wandel durch wissenschaftliche Erkenntnisse
In den 1980er-Jahren brachten bahnbrechende Studien, insbesondere die Arbeiten des amerikanischen Forstwissenschaftlers Alex Shigo, ein Umdenken in der Baumpflege. Shigo und seine Kollegen zeigten, dass Bäume Verletzungen nicht „heilen“, sondern auf andere Weise damit umgehen (siehe Abschnitt 2.3). Sie fanden heraus, dass Wundverschlussmittel die natürlichen Abwehrmechanismen eines Baumes oft behindern, anstatt sie zu unterstützen.
Eine der wichtigsten Erkenntnisse war, dass Wundverschlussmittel häufig eine feuchte Umgebung schaffen, die Pilzen, Bakterien sowie anderen Mikroorganismen ideale Bedingungen bietet. Außerdem brechen viele dieser Mittel durch Temperaturwechsel oder mechanische Belastungen auf, wodurch Mikroorganismen leicht eindringen können. Die Forschung machte deutlich, dass der Einsatz solcher Mittel oft mehr Schaden anrichtet als Nutzen bringt.
Tipp für Gärtner: Anstatt sich auf Wundverschlussmittel zu verlassen, ist es wesentlich effektiver, sich auf eine korrekte Schnittführung, den richtigen Schnittzeitpunkt und die natürliche Regenerationsfähigkeit des Baumes zu konzentrieren. |
2. Biologische Grundlagen des Baumes und ihre Bedeutung für den Schnitt
2.1. Der Aufbau des Baumes: Kambium, Bast und Borke
Ein Baum ist ein komplexes Organismus, dessen Aufbau aus mehreren spezialisierten Schichten besteht, die jeweils lebenswichtige Funktionen übernehmen:
Borke: Die äußerste Schicht des Baumes, auch als „Schutzschicht“ bekannt, besteht aus abgestorbenem Gewebe. Die Borke schützt den Baum vor äußeren Einflüssen wie Witterung, mechanischen Schäden und Schädlingen.
Bast: Direkt unter der Borke befindet sich der Bast, der Teil des Phloems. Der Bast ist lebendes Gewebe und dient als Transportsystem für die von den Blättern produzierten Assimilate (hauptsächlich Zucker), die der Baum für sein Wachstum und die Energieversorgung benötigt.
Kambium: Das Kambium ist eine dünne, nur mit dem Mikroskop sichtbare Zellschicht zwischen Holz (Xylem) und Rinde (Phloem). Es ist für das Dickenwachstum des Baumes verantwortlich. Das Kambium teilt sich ständig und bildet nach innen Zellen für das Xylem (Holz) und nach außen Zellen für das Phloem (Rinde).
Xylem (Holz): Das Xylem transportiert Wasser und darin gelöste Nährstoffe von den Wurzeln zu den Blättern. Es bildet auch das statische Gerüst des Baumes. Ältere Xylemschichten sterben ab und werden zu sogenanntem Kernholz, das dem Baum Stabilität verleiht.
Diese Schichten arbeiten in perfekter Harmonie, um den Baum zu versorgen, zu schützen und zu stützen. Ein Eingriff, wie das Schneiden eines Astes, stört dieses Gleichgewicht und erfordert vom Baum eine komplexe Reaktion.
2.2. Was passiert bei einer Verletzung?
Wenn ein Ast abgesägt wird, setzt der Baum mehrere physiologische und biochemische Prozesse in Gang, um auf die Verletzung zu reagieren und die Wunde zu schützen. Dabei werden verschiedene Schichten des Baumes – Borke, Bast, Kambium und Xylem – unterschiedlich betroffen.
Das Xylem stirbt ab:Das durchtrennte Holz (Xylem) ist ein größtenteils totes Gewebe, das nicht regeneriert werden kann. Das vorhandene Xylem bleibt an Ort und Stelle, wird jedoch durch die Unterbrechung der Wasserleitung funktionsunfähig. Es wird im Laufe der Zeit von Mikroorganismen wie Pilzen und Bakterien zersetzt. Dieser Zersetzungsprozess betrifft jedoch nur die freiliegenden Bereiche und breitet sich durch die Abwehrmechanismen des Baumes nicht ungehindert aus.
Das Kambium reagiert:Das Kambium, die schmale, aktive Schicht zwischen Holz und Bast, bildet an den Wundrändern neue Zellen. Diese Zellen wachsen zu einem Kallus, der die Wunde überwallen soll. Während dieses Prozesses entsteht eine physische Barriere, die die Ausbreitung von Mikroorganismen hemmt. Der Baum nutzt seine natürlichen Abwehrmechanismen, um die beschädigten Bereiche möglichst schnell zu isolieren.
Chemische Abwehr:Der Baum produziert chemische Substanzen wie Phenole, Tannine oder andere pilz- und bakterienhemmende Verbindungen. Diese Substanzen reichern sich an der Wundstelle an und wirken toxisch auf eindringende Mikroorganismen. Diese chemische Abwehr ist besonders in den ersten Tagen nach der Verletzung entscheidend, bis der Baum die physische Abschottung durch Kallusbildung einleiten kann.
Tipp: Die Geschwindigkeit und Effektivität dieser Prozesse hängt stark von der Vitalität des Baumes, der Schnittführung und den Umweltbedingungen ab. Ein vitaler Baum kann kleine Wunden problemlos überwallen, während große Schnittflächen und unsachgemäße Schnitte die Abwehrmechanismen überfordern. Stellen Sie sich den Baum wie eine Festung vor. Bei einer Verletzung wird ein Teil der Mauer zerstört. Der Baum errichtet daraufhin eine provisorische Barrikade (chemische Abwehrstoffe) und beginnt, eine neue Mauer (Überwallung) zu bauen. Je größer der Schaden, desto länger dauert der Wiederaufbau – und desto anfälliger ist die Festung in der Zwischenzeit für Angreifer (Pilze und Bakterien). |
2.3. Warum Wunden bei Bäumen nicht heilen, sondern abschotten
Im Gegensatz zu tierischem Gewebe, das beschädigte Zellen durch neue ersetzt, haben Bäume eine andere Strategie entwickelt. Verletzungen werden nicht regeneriert, sondern abgeschottet. Dieser Prozess wird als „Compartmentalization of Decay in Trees“ (CODIT) bezeichnet und umfasst mehrere Schritte:
Abschottung durch chemische Barrieren: Der Baum produziert antimikrobielle Substanzen, die das Eindringen von Krankheitserregern hemmen sollen.
Bildung einer physikalischen Barriere: Das Kambium bildet neue Zellen an der Schnittkante, um die Wunde zu überwallen.
Langsame Zersetzung des abgestorbenen Holzes: Das tote Holz bleibt an Ort und Stelle, wird jedoch nach und nach von Mikroorganismen abgebaut.
Praxis-Tipp: Verwenden Sie scharfe und saubere Werkzeuge, um glatte Schnitte zu gewährleisten. Diese erleichtern dem Baum die Überwallung und verringern die Angriffsfläche für Mikroorganismen. |
Dieser Prozess funktioniert jedoch nur bis zu einem gewissen Grad. Große Wunden oder unsachgemäße Schnitte können die natürlichen Abwehrmechanismen des Baumes überfordern. Dies führt dazu, dass die Zersetzung des Holzes schneller voranschreitet, als der Baum neues Gewebe bilden kann.
Wichtig: Eine fachgerechte Schnittführung, die das Kambium möglichst wenig schädigt, ist entscheidend, um die natürliche Abschottung zu unterstützen und das Risiko von Fäulnis zu minimieren. |
3. Wundverschlussmittel: Theorie und wissenschaftliche Realität
3.1. Die Versprechen von Wundverschlussmitteln
Wundverschlussmittel wurden entwickelt, um Schnittstellen an Bäumen zu versiegeln und diese vor äußeren Einflüssen zu schützen. Zu den Hauptversprechen dieser Produkte zählen:
Schutz vor Austrocknung: Durch das Versiegeln der Wunde soll verhindert werden, dass das freigelegte Kambium austrocknet, was dessen Überlebensfähigkeit beeinträchtigen könnte.
Verhinderung von Infektionen: Eine schützende Schicht soll das Eindringen von Krankheitserregern wie Pilzen und Bakterien verhindern.
Förderung der Überwallung: Einige Produkte versprechen, dass die Wunde schneller durch neues Gewebe überwachsen wird.
Längere Haltbarkeit der Schnittstelle: Die Anwendung soll sicherstellen, dass die Wunde langfristig stabil bleibt und nicht zu Fäulnisherden wird.
Moderne Wundverschlussmittel enthalten oft zusätzliche chemische Substanzen wie Fungizide oder bakterizide Bestandteile, die speziell gegen Mikroorganismen wirken sollen. Zudem verwenden Hersteller elastische Polymere, um eine dauerhafte Abdichtung zu gewährleisten, die nicht durch Temperaturschwankungen beeinträchtigt wird.
Praxis-Tipp: Diese Versprechen klingen vielversprechend, doch entscheidend ist, ob sie mit der Biologie des Baumes harmonieren. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass diese Mittel in den meisten Fällen die natürlichen Prozesse eines Baumes behindern. |
3.2. Wissenschaftliche Studien zu Wundverschlussmittel: Warum sie meist schaden
Die Forschung zur Wirksamkeit von Wundverschlussmitteln hat gezeigt, dass diese Produkte in der Praxis häufig das Gegenteil dessen bewirken, was sie versprechen. Zu den Hauptproblemen gehören:
Feuchtes Mikroklima unter der Schutzschicht: Wundverschlussmittel verhindern den natürlichen Austausch von Feuchtigkeit und Luft an der Schnittstelle. Dadurch entsteht ein feucht-warmes Mikroklima, das ideale Bedingungen für das Wachstum von Pilzen und Bakterien bietet. Besonders Holzfäulepilze wie der Hallimasch oder der Birkenporling profitieren von diesen Bedingungen und können sich ungestört ausbreiten.
Eindringen von Mikroorganismen durch Risse: Selbst moderne Wundverschlussmittel sind nicht immun gegen Witterungseinflüsse. Temperaturschwankungen führen häufig zu feinen Rissen in der Schutzschicht. Diese Risse bieten Mikroorganismen direkten Zugang zum freiliegenden Holz. Studien haben gezeigt, dass die Infektionsrate bei Bäumen mit Wundverschlussmittel höher sein kann als bei unbehandelten Schnittstellen.
Behinderung der natürlichen Abschottung: Bäume verfügen über einen hochentwickelten Mechanismus zur Abschottung von Wunden (siehe Abschnitt 2.3). Dieser Prozess basiert auf der Bildung chemischer Barrieren und neuer Zellen durch das Kambium. Wundverschlussmittel können diesen Prozess behindern, indem sie das Kambium isolieren oder toxische Substanzen freisetzen, die das Zellwachstum hemmen.
Mangelnde Langzeitwirkung: Obwohl viele Produkte eine langanhaltende Schutzwirkung versprechen, sind sie oft nicht wetterbeständig. Regen, Sonne und Frost führen zu einem allmählichen Abbau der Schutzschicht, was die Schnittstelle ungeschützt zurücklässt – häufig in einem schlechteren Zustand, als wenn kein Mittel verwendet worden wäre.
Vergleichen wir die Schnittstelle eines Baumes mit einer Wunde beim Menschen. Wenn Sie sich eine kleine Hautverletzung zuziehen, bildet der Körper von selbst eine Schutzschicht – einen Schorf. Dieser natürliche Prozess schützt die Wunde vor Infektionen und ermöglicht eine schrittweise Heilung von innen nach außen. Würde man jedoch auf die Wunde eine luftdichte, undurchlässige Schicht auftragen, könnte dies mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen: Feuchtigkeit würde eingeschlossen, Bakterien könnten sich vermehren, und die Heilung könnte gestört werden.
Ähnlich verhält es sich bei einem Baum. Wundverschlussmittel agieren wie eine künstliche Abdeckung, die den natürlichen Heilungsprozess – in diesem Fall die Abschottung und Überwallung – behindert. Unter der dichten Schicht kann sich ein feuchtes Mikroklima bilden, das Pilzen und Bakterien ideale Bedingungen für ihr Wachstum bietet.
Praxis-Tipp: Vertrauen Sie auf die Biologie des Baumes. Eine fachgerechte Schnittführung und die Wahl des richtigen Zeitpunkts sind die besten Maßnahmen, um Infektionen und Fäulnis zu verhindern. |
4. Die richtige Schnittführung als entscheidender Faktor
4.1. Fehler bei der Schnittführung und ihre Folgen
Eine falsche Schnittführung ist eine der häufigsten Ursachen für Fäulnis und Instabilität bei Bäumen nach einem Rückschnitt. Zu den häufigsten Fehlern gehören:
Entfernen des Astwulstes: Der Astwulst, auch Astkragen genannt, ist die verdickte Verbindung zwischen Ast und Stamm. Er enthält Zellen, die entscheidend für die Überwallung der Wunde sind. Wird der Astwulst entfernt, verliert der Baum die Fähigkeit, die Wunde effektiv zu verschließen. Dies erhöht das Risiko von Infektionen und Fäulnis erheblich.
Zu tiefe Schnitte: Schnitte, die in den Stamm oder die Hauptleitungsbahnen eindringen, beschädigen das Kambium und verhindern, dass der Baum eine neue Schutzschicht bilden kann. Der Baum wird anfälliger für Krankheiten und Pilzbefall, da die natürlichen Abwehrmechanismen nicht greifen können.
Verwendung stumpfer oder ungeeigneter Werkzeuge: Stumpfe Werkzeuge führen zu unsauberen Schnitten, die das Gewebe zerreißen und die Schnittfläche vergrößern. Solche Verletzungen sind schwerer zu überwallen und bieten Mikroorganismen eine größere Angriffsfläche.
Hinweis: Ein sauberer Schnitt am Baum ist wie eine präzise Naht in der Chirurgie – je glatter und präziser, desto schneller und besser heilt die Wunde. |
4.2. Schritt-für-Schritt-Anleitung für einen fachgerechten Schnitt
Planen Sie den Schnitt sorgfältig: Überlegen Sie genau, welche Äste entfernt werden müssen, und berücksichtigen Sie die Jahreszeit. Der Schnitt sollte immer so erfolgen, dass der Baum vital bleibt und die Wunde möglichst klein ist.
Schneiden Sie nahe am Astwulst: Der richtige Abstand beträgt etwa einen Millimeter vor dem Astkragen. Schneiden Sie nicht in den Astwulst hinein, da dieser entscheidend für die Überwallung ist.
Verwenden Sie scharfe und saubere Werkzeuge: Desinfizieren Sie Ihre Werkzeuge vor dem Schnitt, um das Risiko von Infektionen zu minimieren. Scharfe Werkzeuge sorgen für glatte Schnittflächen, die der Baum leichter überwallen kann.
Sägen Sie große Äste in mehreren Schritten ab: Bei dicken Ästen empfiehlt sich ein Entlastungsschnitt, um zu verhindern, dass der Ast abreißt und den Baum beschädigt.
Setzen Sie zuerst einen Schnitt von unten an, etwa ein Drittel des Astes.
Führen Sie dann den Hauptschnitt von oben aus, um den Ast vollständig zu entfernen.
Glätten Sie die Schnittfläche bei Bedarf mit einem scharfen Messer oder einer Feile.
Achten Sie auf die Umgebung: Vermeiden Sie Schnitte bei Regen oder Frost, da diese Bedingungen das Infektionsrisiko erhöhen können.
Wichtig: Eine fachgerechte Schnittführung ist der wichtigste Schritt, um die Gesundheit eines Baumes nach einem Rückschnitt zu gewährleisten. In Kombination mit dem richtigen Zeitpunkt und einer guten Pflege bleibt der Baum stabil und vital – ganz ohne chemische Hilfsmittel. |
5. Die Bedeutung der Schnittzeit
Die Wahl des richtigen Schnittzeitpunkts ist entscheidend für die Gesundheit und Vitalität eines Baumes. Während die Schnittführung die mechanischen Grundlagen für eine erfolgreiche Überwallung legt, beeinflusst die Schnittzeit maßgeblich die physiologischen Prozesse des Baumes. Der Jahresverlauf, die Aktivität des Kambiums und die Verfügbarkeit von Energie- und Nährstoffreserven bestimmen, wie gut ein Baum auf einen Schnitt reagieren kann.
5.1. Die physiologischen Prozesse des Baumes im Jahresverlauf
Ein Baum durchläuft im Laufe eines Jahres verschiedene Entwicklungsphasen, die jeweils von unterschiedlicher Aktivität des Kambiums, der Blätter und des Wurzelsystems geprägt sind. Diese Phasen beeinflussen, wie schnell und effizient der Baum auf eine Schnittverletzung reagiert.
Winter – Die Ruhephase: Im Winter ist der Baum in einer vegetativen Ruhephase. Das Kambium ist inaktiv, und es werden keine neuen Zellen gebildet. Während dieser Zeit kann der Baum Schnittverletzungen kaum durch Überwallung abdecken. Dennoch ist das Infektionsrisiko im Winter geringer, da viele Mikroorganismen bei niedrigen Temperaturen nicht aktiv sind. Schnitte verheilen jedoch sehr langsam, da die physiologischen Prozesse des Baumes fast vollständig zum Erliegen kommen.
Praxis-Tipp: Große Rückschnitte sollten im Winter vermieden werden, um den Baum nicht unnötig zu schwächen. |
5.2 Der beste Zeitpunkt für den Baumschnitt: Winter und Sommer im Vergleich
Die Wahl des Schnittzeitpunkts beeinflusst das Wachstum und die Gesundheit eines Baumes erheblich, da er zu jeder Jahreszeit unterschiedlich auf Eingriffe reagiert. Dabei spielen die Aktivität des Kambiums und der Stoffwechsel des Baumes eine entscheidende Rolle.
Winterschnitt: Wachstum anregen
Ein Schnitt im späten Winter oder ausgehenden Frühjahr regt das Wachstum des Baumes an. Zu diesem Zeitpunkt ist das Kambium noch inaktiv, und der Baum befindet sich in der Ruhephase. Der Rückschnitt führt dazu, dass der Baum nach dem Austrieb seine Energie auf die verbleibenden Knospen konzentriert, wodurch diese stärker wachsen.
Allerdings verlängert ein früher Winterschnitt die Phase, in der das Kambium nicht in der Lage ist, eine Schutzzone aufzubauen. Daher kann es sinnvoll sein, den Schnitt erst gegen Ende des Winters durchzuführen, wenn die Temperaturen steigen und das Kambium langsam aktiv wird. So wird das Risiko des Rücktrocknens der Kambiumzellen minimiert.
Sommerschnitt: Wachstum bremsen
Ein Sommerschnitt, insbesondere nach dem Hauptwachstum (ca. Ende Juni), hat eine wachstumsbremsende Wirkung. Der Baum hat zu diesem Zeitpunkt viele seiner Reservestoffe (Assimilate) bereits in das neue Wachstum investiert und kann nach einem Rückschnitt weniger Energie für neue Triebe aufbringen und auch weniger Assimilate einlagern.
Der Sommerschnitt ist daher ideal, um das Wachstum gezielt zu kontrollieren und die Krone auszulichten. Zudem verkürzt er die Zeit, in der die Schnittwunde ungeschützt bleibt, da das Kambium aktiv ist und schneller neue Zellen bildet, um die Wunde abzuschotten.
6. Wann Wundverschlussmittel tatsächlich sinnvoll sein können
Der Einsatz von Wundschutzmitteln bei Bäumen wird oft diskutiert. Während diese Mittel in den meisten Fällen überflüssig oder sogar schädlich sein können, gibt es drei spezifische Szenarien, in denen sie tatsächlich sinnvoll sind – jedoch mit klaren Einschränkungen und der richtigen Anwendung:
Wundschutz bei der Veredelung von Bäumen
Bei der Veredelung von Bäumen ist Wundschutzmittel besonders nützlich, um die Schnittflächen vor Austrocknung zu schützen. Hier sorgt es dafür, dass das Kambium aktiv bleibt, was essenziell für das erfolgreiche Verwachsen von Unterlage und Edelreis ist.
Tipp: Trage das Wundschutzmittel ausschließlich auf die Veredelungsstellen auf und achte auf eine gleichmäßige, dünne Schicht. |
Schutz bei großen Wunden im Winter oder Sommer
Wenn große Schnittwunden (z. B. im Winter oder Sommer) entstehen, besteht die Gefahr, dass das Kambium austrocknet. Hier können Wundschutzmittel gezielt an den Wundrändern eingesetzt werden, um diese sensiblen Bereiche zu schützen.
Nicht die gesamte Fläche der Wunde behandeln, da dies das Mikroklima unter der Schicht verschlechtert und Pilze begünstigen kann.
Besonders im Winter, wenn das Kambium inaktiv ist, oder im Hochsommer bei starker Hitze, hilft das Mittel, das Austrocknen der Ränder zu verhindern.
3. Behandlung von Wildverbiss, Anfahrschäden und Rückeschäden
Frische Wunden durch Wildverbiss, Hasenverbiss, Anfahrschäden oder Rückeschäden können mit Wundschutzmitteln behandelt werden, um das Kambium vor Austrocknung zu bewahren. Abstehende Splitter sollten entfernt werden und dann sollte die Wunde großflächig mit Wundschutzmittel behandelt werden.
Noch besser ist folgende Vorgehensweise, da hierdurch die Flächenkallusbildung stärker angeregt werden kann (vor allem bei Laubbäumen):
Empfohlene Vorgehensweise bei Anfahrschäden/Rückeschäden etc:
Schnelles Handeln: Frische Wunden sollten so bald wie möglich behandelt werden. Ältere Schäden (über zwei Wochen alt) nicht mehr behandeln, da eine Flächenkallusbildung nicht mehr möglich ist.
Wundfläche anfeuchten: Besprühe die Wunde großzügig mit Leitungswasser, um den Trockenstress der Zellen zu reduzieren.
Keine Reinigung: Verschmutzungen sollten belassen werden, da das Säubern lebende Zellen mechanisch schädigen kann.
Rinde sichern (nur bei Laubbäumen): Lose Rindenstücke, die noch mit der umliegenden Rinde verbunden sind, mit Aluminiumnägeln fixieren, damit sie wieder anwachsen können.
Überstehende Holzsplitter entfernen: Nur vorsichtig entfernen, wenn sie die Abdeckung der Wunde verhindern.
Keine Nachbearbeitung: Vermeide das Nachschneiden oder Ausformen der Wunde, da dies die Fläche vergrößert und die Flächenkallusbildung hemmt/verhindert.
Abdeckung mit Folie: Frische Wunden mit lichtundurchlässiger Kunststofffolie abdecken, die 3–5 cm über den Wundrand hinausgeht. Die Folie kann mit Heftklammern an der Borke befestigt werden. Mehrere kleine Wunden können mit einer großen Folie abgedeckt werden. Alternativ mit einem Kokosstrick die Folie befestigen.
Folie entfernen: Nach etwa einem Jahr die Abdeckung entfernen, da sie danach keine positiven Effekte mehr hat.
Besonderheit Flächenkallus bei Wildverbiss, Anfahrschäden und Rückeschäden etc.
Ein neuer Forschungsansatz zeigt, dass bei unfallbedingten Rindenablösungen nicht nur am Wundrand, sondern auch auf der gesamten Wundfläche neues Gewebe, der sogenannte Flächenkallus, entstehen kann. Dieses besondere Gewebe ist seit über 200 Jahren bekannt und weist im Vergleich zur klassischen Wundüberwallung deutliche Vorteile auf. Der Flächenkallus ist direkt mit dem darunterliegenden Holz verbunden, wodurch weder Verfärbungen noch Fäulnis auftreten.
Voraussetzungen für Flächenkallus-Bildung
Damit sich ein Flächenkallus entwickeln kann, müssen ausreichend viele teilungsfähige Zellen auf der Wundoberfläche unversehrt bleiben. Diese Zellen müssen vor Austrocknung und UV-Strahlung geschützt werden, etwa durch eine lichtundurchlässige Kunststofffolie. Wird die Wunde innerhalb der ersten Woche nach der Verletzung abgedeckt, können Kalluszellen entstehen, die sich zu einem dichten Kallusbelag auf der Wundfläche entwickeln. Nach mehr als zwei Wochen zeigt der Baum jedoch keine Reaktion mehr.
Funktionsweise des Flächenkallus
Ein ausgereifter Flächenkallus bildet außen eine neue Rinde und innen ein funktionsfähiges Wundkambium, das das Dickenwachstum ermöglicht. Das Gewebe bleibt vital und übernimmt weiterhin den Transport von Wasser und Nährstoffen sowie die Speicherung von Reservestoffen. Dadurch wird die offene Wundfläche effektiv reduziert und die geschädigten Bereiche im Holz minimiert.
Vorteile des Flächenkallus
Der Flächenkallus verlängert die Lebensdauer des Baumes, indem er die Wunde von innen heraus schließt und eine langfristige Stabilität gewährleistet. Diese Methode ist besonders effektiv, wenn die Wunde schnell behandelt wird – idealerweise innerhalb der ersten Woche nach der Verletzung.
Mit der richtigen Pflege kann der Flächenkallus nicht nur die Reststandzeit des Baumes verlängern, sondern auch die natürlichen Abwehrmechanismen unterstützen, ohne die strukturelle Integrität des Baumes zu gefährden.
7. Fazit und praxisorientierte Handlungsempfehlungen
Die Wahl der richtigen Schnittzeit ist entscheidend für die Gesundheit des Baumes. Durch die Berücksichtigung der physiologischen Prozesse im Jahresverlauf und die Anpassung der Schnittmaßnahmen an die jeweilige Baumart kann die natürliche Abwehrkraft des Baumes optimal genutzt werden. Wundverschlussmittel sind nur in wenigen Ausnahmesituationen erforderlich und sollten mit Bedacht eingesetzt werden. Letztendlich sind eine korrekte Schnittführung und das Verständnis der Baumphysiologie die effektivsten Werkzeuge für eine nachhaltige und gesunde Baumpflege.
1. Was sind Wundverschlussmittel und wie funktionieren sie?
Wundverschlussmittel sind spezielle Produkte, die entwickelt wurden, um Schnittstellen an Bäumen zu versiegeln. Sie sollen die Wunde vor Austrocknung schützen, das Eindringen von Krankheitserregern verhindern und die Heilung fördern. Typischerweise bestehen sie aus Substanzen wie Baumharz, Latex, synthetischen Polymeren oder ölbasierten Materialien und enthalten manchmal Fungizide oder antibakterielle Zusätze.
2. Sind Wundverschlussmittel wirklich notwendig?
3. Wann können Wundverschlussmittel sinnvoll sein?
4. Was passiert, wenn ich kein Wundverschlussmittel verwende?
6. Wie sollte ich Bäume am besten schneiden, um Infektionen zu vermeiden?
9. Was ist der Astwulst und warum ist er wichtig?
12. Kann ich kranke oder tote Äste jederzeit entfernen?
15. Was kann ich tun, um die Gesundheit meines Baumes langfristig zu fördern?
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